Die schöne Stadt Erfurt! (Foto aus dem Internet) |
Am Abend des 13.5. kamen wir in Erfurt an, eine Freundin holte uns ab und übergab uns den Schlüssel für die Wohnung in der wir die nächsten Wochen leben würden. Für den Moment hatten wir aber die Wohnung ganz für uns da die zwei verreist waren und das führte uns vor Augen, was wir mit unserem selbst gewählten Lebensstil aufgaben... Andere in unserem Alter haben ein "zu Hause" und jeden Tag den Luxus eines Bettes, durch ein geregeltes Einkommen braucht man sich auch kaum Sorgen machen ob der Kühlschrank stets gefüllt ist (es kommt nur darauf an mit WAS er gefüellt ist), aber wir - wir haben ja nicht einmal einen Kühlschrank den wir füllen könnten ;).
Wir genossen die Zeit Beide in der das Leben plötzlich so einfach war, aber wohnt man immer an einem Fleck, dann kommen zu viele Dinge hinzu die das Leben plötzlich wieder komplizierter machen. Die vielen Steuern die man zahlt und die Steuererklärung die man ausfüllen muss, die Miete die man jeden Monat zusammen kriegen muss, der ganze Berg Versicherungen der einem teilweise nicht einmal frei steht ob man sie überhaupt abschliessen MÖCHTE ( dadurch das ich mich gleich nach Ankunft in Deutschland wieder hier anmeldete, zahlte ich 150 Euro umsonst für die Krankenkasse. Einen Monat später fing ich nämlich an zu arbeiten und wurde darüber versichert, da aber in Deutschland niemand ohne Versicherung sein DARF musste ich den vorherigen Monat nachzahlen ohne das ich die Möglichkeit hatte zum Arzt zu gehen, es war ja schon zu spät. An dem Tag an dem ich Deutschland wieder verliess, hatte man mir aber noch immer keine Versicherungskarte zugeschickt und ich musste mir noch extra ein Blatt Papier besorgen um trotzdem zum Arzt gehen zu können).
Nein ganz ehrlich - diesen ganzen bürokratischen Stress vermisse ich überhaupt gar nicht und auch nicht die Langeweile die aufkommt wenn man ganz einfach alles hat und eben auch alles um einen herum schon kennt, dann vertreibt man sich die Zeit mit dem Fernseher oder irgendwelchen modernen Computerspielchen und dazu habe ich ganz einfach keine Lust.
Domplatz (Internetfoto) |
Morgens fuhr ich denselben Weg mit dem Fahrrad, den ich auch vor ein paar Jahren gefahren war. Meine erste Wohnung war nämlich gleich um die Ecke und der Weg zum Regenbogenkindergarten war derselbe wie der zur Schule, nur ein Stück kürzer. Das war ein merkwürdiges Gefühl, aber keineswegs schlecht!
Die freie Regenbogenschule mit dem Kiga in welchem ich 3 Wochen arbeitete. |
Es war eine schöne Zeit im Kindergarten, kannte ich doch auch noch die Erzieher (Bezugspersonen oder Bezugis werden sie hier genannt weil sie die Kinder begleiten, aber nicht erziehen, da die Kinder sich ihrer Meinung nach selbst durchs Leben entwickeln und somit auch selbst "erziehen"), auch etliche Kinder erkannten mich wieder! Zusätzlich die Eltern, mit Einigen hatte ich sogar während meiner Reisezeit, zumindest spärlich, Kontakt gehalten.
Ich würde nie behaupten ich mag komplett alles was in dem Konzept des Kindergartens steht oder wie es umgesetzt wird, aber ich fühle mich immer wohl in dieser freien Umgebung in der vor allem mit Liebe gelehrt wird, die Kinder dürfen ganz einfach die meisten Erfahrungen selbst machen ohne das ihnen ständig auf die Finger geschaut wird, sie flitzen viel draussen herum und wenn ihnen warm wird, dann ziehen sie sich einfach aus und plantschen vielleicht im Wasser herum. Ihnen wird weder gesagt das sie Dienstags mit zum schwimmen kommen müssen, noch das sie Donnerstags mit zum Ausflugstag umher ziehen sollen, wenn sie keinen Hunger haben essen sie eben nichts zum Mittag, schlafen tun die Kinder deren Eltern es wünschen und die Kids werden nicht schulreif "gemacht", sie werden es von selbst.
Viel Geduld muss man mitbringen um in so einer Einrichtung zu arbeiten, denn Strafen gibt es nicht (höchstens logische Konsequenzen) und die meisten Probleme werden durch Reden gelöst. Doch es ist auch keine antiautoritäre Einrichtung wie ich lange Zeit dachte, ohne Regeln geht es auch hier nicht, nur machen (die meisten) Regeln einfach Sinn und sind auch für Kinder zu verstehen (ob sie die auch mögen ist eine andere Geschichte...), sie entstehen nicht nur weil der Erwachsene gewöhnlich in einer höheren Machtposition ist als das kleine Kind. Aufgeräumt werden muss damit man nicht auf das Spielzeug tritt und es kaputt geht, Schlagen/ Beissen/ Kratzen macht man nicht weil es jemandem anderes weh tut, Essen tut man weil man Hunger hat und in dem Raum der dafür gedacht ist, einfach weil sonst (erfahrungsgemäss) die Butterbrote in irgendwelchen geheimen Ecken landen und verschimmeln oder die Essensreste auf dem Sofa kleben. Schreit man in höchster Lautstärke im Freien umher stört das gewöhnlich keinen, schreit man allerdigs in einem Raum in dem Andere versuchen Bücher vor zu lesen, dann wird der kleine Schreihals mit seiner lauten Stimme höflich gebeten sich entweder zu beruhigen oder nach draussen zu gehen, die Gründe hierfuer werden dem Kind immer erklärt.
Kinder hier sind kleine Erwachsene denen man nicht alles vorschreiben muss, sie können vieles schon selbst entscheiden. Die Grenze des Einzelnen hört auf wo die Grenze des Anderen beginnt, haut man sich lachend im Spiel ist das ok, tut es einem weh und man möchte es nicht, dann muss man das lernen wörtlich auszudrücken und der Andere muss lernen diese Grenze einzuhalten.
Viele Male habe ich bereits über dieses Konzept mit Anderen diskutiert, viel Male ist es auf Ablehnung und Unverstehen gestossen und ich spürte, dass ich eigentlich gar keine Lust mehr habe darüber zu reden. Alles lässt sich (einfach?) in Worte verpacken, aber trotzdem versteht es jeder anders und in der Realität ist doch nichts wie geplant, jeder Bezugi hat seine eigenen Methoden und Wege und vielleicht arbeiten auch andere Kindergärten in bestimmten Fällen ähnlich, im Enddefekt weiss ich aber durch Erfahrung das andere Kindergärten anders arbeiten und es einfach nicht möglich ist, das Leben im Regenbogen mit Worten genau zu beschreiben. Ich weiss aber auch: Jeder der sich dafür wirklich interessiert ist herzlichst eingeladen dem Kindergarten (oder der Grund- oder Realschule in den oberen Etagen) einen Besuch abzustatten in der Vollbrachtstrasse, sei es für ein paar Stunden oder gar ein längeres Praktikum, seid willkommen! Wer erst einmal nur mehr darüber lesen möchte, kann sich die Internetseite anschauen: http://www.freie-schule-regenbogen.de/
Wenn ich Morgens zur Arbeit ging, stand Jaak in der Tür und winkte mir. Kam ich später von der Arbeit zurück, dann empfing er mich freudig mit einem Teller selbst gekochter Hühnersuppe und das die Wohnung in der wir lebten gar nicht uns gehörte, das fiel nach einer Weile gar nicht mehr auf. Wir hatten in unserer Beziehung noch nie ein solch "normales" Leben gehabt und für die eine Woche war es echt toll!
Aber Jaak wollte weiter und zwar noch am selben Samstag. Ein Abenteuer stand bevor, er würde von Berlin nach Riga in Lettland mit dem Fahrrad radeln. Mehr als 1.000 km auf einem 30 Euro "Diamant" - Fahrrad ohne Gänge das er sich bei seinem letzten einwöchigen Aufenthalt in Berlin im Secondhandshop besorgt hatte und das bei einer Freundin dort nun auf ihn wartete.
Dafür wollte er nicht viel mit nehmen, ein paar Bücher zum lesen, eine Zahnbürste zum Zähne putzen, einen Topf um im Feuer etwas kochen zu können, eine Flasche Wasser und ein wenig Werkzeug um im Notfall das Fahrrad reparieren zu können. Schon damals in Australien hatte er öfter zu mir gesagt als wir irgendwo mit unserem "vielen" Gepäck herum gelaufen sind: "Babsi, können wir spielen das wir "Swagmen" sind? Bitte, bitte!" Ihn fesselte die Idee mit so wenig wie möglich los zu ziehen und deshalb bauten wir nun für seinen Trip einen "Swag"!
Und was ist das? Vor vielen, vielen Jahren waren viele, viele Leute Reisende. Es gab keine Autos und vielleicht auch noch keine Pferde und Esel die einen trugen oder das Gepäck mit nahmen, so war man sein eigenes "Lastentier" und man besass nur so viel, wie man auch tragen konnte. So reiste man zu einem Platz wo es einem gefiel oder wo man Arbeit bekam, in der Nacht rollte man seinen Swag aus und krabbelte wie in einen Schlafsack herein, das Material aus dem sie gemacht waren hielt Wasser und Kälte ab. Am nächsten Morgen rollte man seine wenigen Habseligkeiten in den Swag mit ein, zog ihn auf den Rücken und weiter gings!
Ein Reisender mit einem "Swag" auf dem Rücken, Tasche und Schlafmöglichkeit in einem! |
Ich selbst hatte ein einziges Mal in einem "Swag" geschlafen, das war in Australien auf der geführten Tour zum "Uluru" und es war nicht nur total bequem gewesen, sondern auch wirklich warm!
Swag schlafen auf der Tour zum "Uluru" in Australien, die Schuhe mussten wir mit in den Swag hinein nehmen weil irgendwelche Tiere sie gerne klauen! |
Das kam nicht in Frage, also wollten wir ganz einfach einen selber bauen. Und das taten wir (wir hatten nicht die geringste Erfahrung, es könnte auch voll vor den Baum gehen, z.B. nicht halten oder nicht warm genug sein...!!! Einen Versuch war es auf jeden Fall wert).
Und wir taten es so:
Man nehme eine normale 10 Euro-Plane aus dem Baumarkt, guten Kleber (bei dem man nie weiss ob er WIRKLICH gut ist bevor man ihn nicht ausprobiert hat), eine Schere und eine ebenso billige, einfache Isomatte die nicht so schwer ist herum zu tragen.
Dann schneidet man beide Ecken an der unteren Haelfte heraus, klappt die rechte und linke Seite nach innen, die untere Seite nach oben und klebt es fest. Man hat nun quasi eine Tasche in der noch immer die Isomatte ist!
Die untere Seite ist damit auch schon fertig. Die beiden nach innen geklappten Seiten werde bis ganz oben hin zusammen geklebt, wie eben eine Tasche.
Und dann es heisst es warten, beschweren und trocknen lassen.
In unserem Fall war es der falsche Kleber - er hat nicht gehalten! Also wurden wir kreativ und nahmen Kabelbinder! Ich benutzte zum ersten Mal die Funktion an meinem Taschenmesser mit der man Löcher durch Leder stechen kann und tat genau das mit der Plane - in regelmässigen Abständen ein Loch in einer Reihe, immer in der Mitte wo die zwei Hälften zusammen kamen und der Kleber vorher nicht gehalten hatte. Ich steckte von aussen den Kabelbinder durch, Jaak krabbelte in den Swag hinein und steckte ihn auf der anderen Hälfte wieder hinaus, Kabelbinder oben geschlossen - fertig. Nun hielt es wirklich.
Und damit war der Swag auch schon fertig! Oben liessen wir ihn einfach offen denn er war so lang, man konnte einfach bis ans untere Ende herin rutschen und würde keine Luft und keinen Regen abbekommen (wie man darin allerdings an frische Luft kommen sollte war eine gute Frage...) Selbst die wenigen Klamotten passten noch mit hinein!
Alles was er benötigt, seinen Swag, einen Topf, Werkzeug, Karten. |
Ich besorgte ihm noch ein gelbes Reflektorshirt und einen Helm, in den Rucksack kamen Essen und Trinken und er würde ihn auf dem Rücken tragen, der Swag wurde auf den Gepäckträger gespannt. |
In Hohenfelden bei Erfurt verabschiedeten wir uns - mit einer Mitfahrgelegenheit würde er nach Berlin fahren und noch für ein oder zwei Tage einen Freund von der Australienreise besuchen bevor er lostremmelte. Der Abschied war schon ein bisschen traurig, immerhin das längste Mal das wir uns nicht sehen würden, mehr als 2 Wochen ;) Auch zum Jahrestag unserer Beziehung wären wir nun nicht zusammen, der 29. Mai.
Auf in ein neues Abenteuer! |
Das Zusammenleben fiel einfach, die Freundschaft war immer noch stark. |
Und auch meine Mädels von der Ausbildung sind noch da! |
Wir hatten ein Barbecue - und das ist ein Fischkopf rechts auf der Gabel! |
Mit Sabs und Dani machte ich noch einen Zeltausflug! Der Plan des Zeltens stand, erst da fiel uns auf, dass wir gar kein Zelt haben! Aber wir wollten es trotzdem versuchen, dann schliefen wir eben unter dem freien Himmel und wenn es zu kalt wäre, fuhren wir einfach in der Nacht zurück. Mit den Fahrrädern ging es in einen Vorort von Erfurt, nicht zu einem bezahlten Campingplatz sondern einfach zu einem schönen Platz am See.
Wir fanden einen anderen schönen Platz und machten ein Picknick. |
Sabs war schon immer unser Feuerwart gewesen... |
Ja und das war dann am nächsten Morgen! Wir hatten tatsächlich die Nacht dort geschlafen und das Feuer hatte uns warm gehalten, die ganze Nacht brannte es ein wenig weiter. |
Und dann war meine Zeit in Erfurt auch schon wieder vorbei! Ich glaube es hatten noch nicht alle verstanden, dass ich gerade als Festangestellte im Kindergarten arbeite und nicht als Praktikantin, da war ich auch schon wieder von der Bildfläche verschwunden. Mein erster Job als festangestellte Erzieherin im Kindergarten ging zu Ende. Am selben Donnerstag traf ich Abends noch meine Mädels von der Ausbildung und als ich dort Tschüss sagte, realisierte ich mit einem Mal wirklich, dass ich mich schon wieder auf dem Sprung befinde. Das machte mich traurig, aber wer sagt das Reisen immer einfach ist? In jedem Leben gibt es Höhen und Tiefen, Abschiede gehören eben zu meinem Leben dazu. Mitten in der Nacht kam ich heim und da wurde mir gleich noch ein Kuchen gebacken! Michi hatte Spätschicht und war gerade von der Arbeit gekommen, er wollte mich nicht gehen lassen ohne seinen Spezial - Schokoladenkuchen probiert zu haben! Da backte er eben nachts um 2 und wir assen die Hälfte des Teiges einfach ungebacken auf...
Und dann ging es am Freitag den 1.6.12 noch ein letztes Mal nach Effelder zu meinen Eltern und meiner kleinen Schwester. Das Wochenende war grösstenteils mit packen ausgelastet, aber am Freitag Abend gingen wir zu meinem Onkel zum Geburtstag und ich konnte es nicht fassen: Erst als ich schon eine Weile dort gesessen hatte fiel mir auf, dass ich so gut wie nie hier sitze. Das ich aber das letzte Mal hier gesessen hatte als ich Tschüss sagte um mich nach Australien zu verabschieden, jetzt sass ich wieder auf dem selben Platz und verabschiedete mich nach Estland...
Dann gab es einen Tag später noch ein schönes Camping mit der Familie meines Schwagers, ihre Grosseltern hatten eine kleine Farm in der Nähe ihres Dorfes, mit ein paar Tieren, einem Häuschen, keinem Strom und nirgends Handyempfang. Das Wetter spielte zwar nicht so mit, aber wir sassen einfach unter dem Dach und im Zelt stört der Regen ja auch nicht.
Am nächsten Morgen verabschiedete ich mich nun von allen in diesem Kreise, unter anderem meiner Schwester, ihrem Mann und meinem kleinen Neffen David...
Es ging zum Bahnhof und als der Zug einfuhr gab es Tränen von allen Seiten. Meine Eltern, meine Schwester, ich. Irgendwie kam uns allen dieser Abschied grösser vor als der vorherige - nach Australien war ich auf bestimmte Zeit gegangen, jetzt würde ich vielleicht nur noch auf Urlaube nach Deutschland zurück kommen, wo auch immer mich meine Füsse hin tragen würden.
Da macht sich mein Paket voller Wintersachen und anderem Zeug was zu viel zum tragen ist auf die lange Reise nach Estland. |
Die Begrüssung war nicht weniger stürmisch als beim letzten Mal, ich konnte sehen in welcher Stadt sie leben, wie ihre Wohnung aussieht, die Klassenkameraden und Mitbewohner kennen lernen und vor allem etwas mehr über ihre Theaterausbildung lernen. Tanzen, singen, fechten und Theater spielen - öfter als nur Theorie in der Schule lernen! Also wenn ich gerne Theater spielen würde, würde ich sofort an ihrer Schule anfangen ;)
Es waren tolle Tage. Vor allem als wir uns Fahrräder von Freunden besorgten und los radelten. Erst zu dem Bauernhof auf dem Anna öfter reiten geht und auch Stunden gibt - gerade vor 3 Tagen hatte die Schweinemutti geworfen und wir konnten nun tatsächliche kleine Ferkel auf unserem Arm umher tragen!!! Uh, war das schön :) Dann fuhren wir weiter, tranken noch eine heisse Schokolade in einem bunten Cafe und rückwärts gings mehr oder weniger durchs Gebüsch - normale Wege sind ja langweilig und da fuhren wir lieber direkt am Wasser entlang durch kniehohes Gras.
Mein erster Besuch auf Usedom ging zu Ende und der Abschied fiel schwer, wer weiss wann ich Anna und Norbert wieder sehen würde...
Dann ging es mit einer Mitfahrgelegenheit nach Berlin und ich machte zum ersten Mal eine interessante Erfahrung die sich später noch häufen würde. Die erste Frage in einer Gruppe Unbekannter ist meist: "Und, wo wohnst du?" "In Erfurt. Ach nein, halt, da wohn ich ja gar nicht mehr! In Effelder. Nein, da wohn ich auch nicht! Na wo wohn ich denn eigentlich?"
Letztendlich führte kein Weg darum herum als die tolle Aussage zu treffen "Ich bin Reisende" :) Selbst einen Hauptwohnsitz habe ich nirgends mehr.... Ich habe mich einfach von Deutschland nach Estland abgemeldet, ohne Adressenangabe.
In Berlin verbrachte ich meine letzte Nacht in Deutschland bei einer Freundin von meiner Erzieherausbildung, sie spielte Harfe und wir hatten damals öfter zusammen Musik gemacht. Sie hatte für ein Jahr in Bosnien als Freiwillige mit Behinderten gearbeitet und es war sehr interessant von ihren Erfahrungen zu hören.
Am nächsten Morgen machte ich mich schon viel zu früh auf den Weg zur Bushaltestelle, ich wollte auf gar keinen Fall meine Fahrgelegenheit nach Estland verpassen und sich in Berlin zurecht zu finden, finde ich persönlich aufregender als durch die ganze Welt zu reisen!
Aber alles ging gut. Ich fand die Bushaltestelle und ging noch ein wenig Essen für die Fahrt einkaufen, ich würde jetzt nämlich gleich die nächsten 23 Stunden im Bus sitzen! 23 Stunden! Das ist genauso lang wie wenn man nach Australien fliegt...
Aber was nimmt man nicht alles in Kauf wenn man einen Sitzplatz im Bus für ganze 13 (!) Euro bekommen kann! So viel kostete mich dieser ganze Spass nämlich nur, ich konnte es selbst nicht glauben. 23 Stunden Fahrt von Berlin nach Riga in Lettland für nur 13 Euro? Wir scherzten schon darüber, vielleicht komme ich ins Gepäckabteil oder es wird ein extra Abteil angehangen für alle die nur 13 Euro zahlen, ohne Wasser, Brot und Sonnenlicht... Oder ist es doch einfach ein Stehplatz? Ich konnte es kaum erwarten, es endlich heraus zu finden.
Aber erst einmal hatte ich einen traurigen Moment, der Abschiedsschmerz holte mich ein. Auf einmal wurde mir klar, dass ich viel zu wenig Zeit mit Allen verbracht hatte. Etliche meiner Freunde hatte ich gar nicht gesehen! Mein kleiner Neffe hatte erst gerade jetzt begonnen sich an mich zu gewöhnen - wenn ich das nächste Mal kam müsste ich wieder von vorne beginnen, er war eben ein Kind. Meine Eltern, meine grosse Schwester - hatte ich wirklich alles erzählt was ich erzählen wollte und hatte ich überhaupt eine Ahnung wie es IHNEN wirklich ging? Meine Antwort darauf war Nein und ich hoffte es irgendwann nachholen zu können, jetzt war es erst einmal zu spät dafür.
Ich schrieb eine SMS an alle Freunde deren Nummer ich im Handy hatte, alle die keine bekommen haben - das tut mir Leid. Ich sagte Tschüss, einmal mehr. Aus meiner Familie wollte ich alle noch einmal anrufen, aber es ging einfach nicht. Allein sass ich dort an der Bushaltestelle im grossen Berlin, mein Gepäck neben mir, und die Tränen liefen mir über die Wangen und wollten nicht mehr stoppen. Letztendlich schrieb ich ihnen also doch nur eine SMS.
Der Bus sah gut aus - schön hellgelb und ansonsten ganz normal. Ich bekam einen Sitzplatz und eine Flasche Wasser noch gratis dazu! Und das alles für 13 Euro... Ich glaube das Geheimnis liegt darin, dass das Busunternehmen polnisch, litauisch, estnisch oder lettisch war - und dort ist alles viel günstiger.
Eigentlich war das Ereignis des Abschiedes ja ein Gutes und ich hatte mich bald wieder gefangen - Ich würde in nicht weniger als einem Tag in Lettland sein und Jaak wieder treffen! Dann würden wir gemeinsam nach Estland fahren, ich könnte endlich die Plätze seiner Kindheit sehen die ihm so viel bedeuten und noch dieses Wochenende würde ich seine Eltern kennen lernen... Na wenn das mal keine Gründe der Freude sind!
Mein schöner gelber Bus! |
Und ein bequemer 13 Euro Sitzplatz! |
Plus eine kleine Wasserflasche, aus Polen Lettland, Estland oder Litauen... keine Ahnung welche Sprache das ist :) |
Und dann ging es etliche Stunden später über die "Autobahngrenze" und es hiess nur noch "Tschüss Deutschland!"