Sonntag, 3. Juni 2012

Paris- ein Wahnsinn der Gefuehle


Meine "kleine" Schwester auf dem Weg nach Frankreich, sie ist schon ganz aufgeregt, gleich wird sie ihre Schwester sehen! :)
Bei diesem Flug hatten wir Glueck, es kam keine Langeweile auf. Man hatte uns von Air Asia auf Malaysia Airlines uebertragen, wir konnten Filme schauen, Musik hoeren, es gab eine Decke und ein Kissen, Erdnuesse als Willkommen und dreimal die Nacht Essen (in der Nacht! Wo man ansonsten ja eigentlich gar nicht isst...). Ausserdem Orangensaft, Wasser, Kaffee, Bier... Eigentlich bin ich ja gerade diejenige die von wenig Luxus schwaermt, aber ab und zu ist das schon schoen ;)

Und dann rueckte die Zeit des Wiedersehens naeher und naeher.... Ich wusste wenn ich aus diesem Flugzeug hinaus gehe, dann steht dort meine Mutti, mein Papa und meine kleine Schwester. Denn es war Ostern und weil sie Zeit hatten, beschlossen sie uns in Paris abzuholen. Schon seit ein paar Tagen waren sie dort und schliefen im Hostel.

Und wie fuehlt man sich nun wenn man gleich seine Familie sieht die man seit 1 Jahr und 7 Monaten nicht gesehen hat?

Hmm. Also die tollste Antwort waere, dass nur eine unglaubliche Freude in einem ist und man es kaum erwarten kann. Die Realitaet sieht meistens anders aus und meine Gefuehle spielten mich in diesen letzten Monaten irgendwie kaputt. Ich erinnere mich wie ich oft an der letzten Arbeit in Neuseeland stand, langweilig Erde in den Topf fuellte um die Zitronenpflanze hinein zu pflanzen, und da kam mir der befreiende Gedanke: "Juhu, bald ist das hier vorbei und dann gehst du heim und siehst alle wieder!" Mit jeder einzelnen Person stellte ich mir das Wiedertreffen vor, wie ich meine Eltern sehe, meine Geschwister, meine Freunde. Und dann noch der unglaubliche Umstand das ich meinen ersten und einzigen Neffen kennen lernen wuerde! Und der ueberhaupt unglaublichste und grandioseste Umstand, dass ich meinen estlaendischen Freund mitbringe und er auf einmal meine Familie kennenlernt, wie ich immer uebersetzen werde weil viele ja kein Englisch sprechen, wie er auf einmal da steht in MEINEM alten Haus, in MEINER alten Umgebung, in MEINEM alten Zimmer. Das war unglaublich. Es schossen so viele gute Gefuehle durch meinen Koerper, ich freute mich so sehr darauf. Und das Beste war: Wir wuerden ja nicht fuer immer da bleiben muessen in Deutschland, ich war naemlich noch nicht bereit dazu mich irgendwo nieder zu lassen. Ich wuesste bereits dann, dass ich wieder weg gehen wuerde nach Estland einige Monate spaeter.



Und dann auf einmal fing alles an sich zu wenden. Ich weiss nicht was geschah, aber alle positiven Gedanken und Gefuehle wurden ganz ploetzlich ins Negative gewandelt. Vielleicht lag es an der langweiligen Arbeit die mir immer weniger Spass machte. Vielleicht lag es daran, dass die Heimreise immer naeher rueckte und ich realisierte, dass ich dieses geliebte Buschleben hier bald verlassen muss. Vielleicht auch daran, dass ich irgendwie nie wirklich zufrieden sein kann wenn etwas schoen ist - immer wieder fange ich an in tollen Situation zu zweifeln, irgendetwas koennte ja doch noch schief gehen. Letztendlich glaube ich, dass es einfach Angst war. Angst in mein altes Leben zurueck zu kehren, wo ich doch jetzt so veraendert bin und AUF KEINEN FALL in mein altes Leben zurueck kehren moechte. Natuerlich war mir klar, dass niemand mich fesseln wuerde und zu Hause festhalten koennte, aber unbewusst hatte ich eben doch das Gefuehl irgendetwas koennte passieren das diese tolle Leben mit Jaak wie ich es mir vorgestellt habe doch nicht eintritt.

Auf einmal stand ich da, pflanzte noch immer dieselbe Pflanze, doch die Gefuehle und Gedanken waren anders. Ich begann mir vorzustellen irgend etwas wuerde schief gehen und ich muesste doch irgendwo an einem Ort bleiben, Jaak wuerde mich verlassen und ich haette keine Aussicht auf ein Leben wie ich es doch so sehr wollte und brauchte, mit all den Abenteuern, Reisen, Ueberraschungen! Ein Haus, ein Auto, eine Arbeit, eine Familie, all diese materiellen Werte.... Mein Gott, schon der Gedanke das alles haben zu muessen laesst mich verrueckt werden! Ich wurde immer machtloser gegenueber diesen Gefuehlen. Sie zeigten sich vor allem in Bauchschmerzen. Richtig starken Bauchschmerzen, bei denen ich oft nur meine Hand auf den Bauch halten konnte und warten musste bis sie wieder vorbei gehen wuerden, ich wusste sie sind psychisch bedingt. Diese tiefe Traurigkeit die immer wieder kam. Auch eine gewisse Art von Verzweiflung, konnte ich doch damals wie heute nicht genau sagen warum ich mich denn fuehlte wie ich mich fuehlte und wenn man das nicht weiss, kann man auch nur schwer dagegen ankaempfen. Und das alles zeigte sich weniger in Gedanken, sondern in Gefuehlen.


Da ich nicht wusste woher diese negativen Gefuehle kamen, bezog ich alles auf unsere Beziehung. Es macht mich noch immer unglaublich traurig wenn ich darueber nachdenke. "Wo kommen die schlechten Gefuehle her? Liegt es etwa an meiner Beziehung? Bin ich nicht gluecklich?" Obwohl ich wusste das Jaak nicht mit mir Schluss machen wuerde, hatte ich Angst wir koennten den vor uns stehenden, ganz neuen "Pruefungen" nicht trotzen. Und weil ich ja keine Angst haben brauchte, dass ER Schluss macht (weil er mir das ja immer wieder versichert hatte), hatte ich eben Angst das ICH irgendwann Schluss machen wuerde. Ganz aus heiterem Himmel kamen diese Gefuehle und sie trieben mich dann tatsaechlich in den Wahnsinn, sogen mich komplett auf, liessen kein logisches Denken mehr zu und hielten mich in Angst umklammert. Die erste Panikattacke kam bereits in Neuseeland, nachdem ich Jaak meine Bauchschmerzen und schlechten Gefuehle erlaeuterte hatte kam immer wieder die Frage von ihm: "Moechtest du jetzt Schluss machen?", welche mir dann komplett den Boden unter den Fuessen weg zog. Ich stellte mir eine Zukunft ohne Jaak vor und die war einfach undenkbar. Es sollte noch Monate dauern bis ich mich wieder so sehr gefasst hatte um zu erkennen, dass meine Panikattacken wenig Sinn machten. Denn die Panik davor nicht mehr zusammen zu sein, keine Zukunft zu teilen, die zeigt doch wie sehr ich ihn mag, dass ich eben doch mit ihm zusammen sein will und es somit ueberhaupt keinen Grund fuer mich gibt das Alles zu beenden!


Wie war also nun der Moment des Wiedersehens meiner Eltern und meiner kleinen Schwester? Nachdem ich schon wieder den ganzen Flug ueber solche verrueckt, verwirrten Gefuehle gehabt hatte, es fuer mich einfach unbegreiflich war, dass dieser Moment jetzt wirklich da war, da sah ich sie stehen, auf der anderen Seite der Glaswand und in dem Moment dachte ich: " Puh. Sie sehen noch immer aus wie deine Eltern. Es sind doch auch deine Eltern. Es ist alles gut!" Ja, ich war regelrecht erleichtert, es gab doch auch gar keinen Grund all diese schlechten Gefuehle in sich zu tragen, all diese Paniken!

Wir winkten uns durch die Scheibe zu, denn es dauerte noch eine ganze Weile bis unser Gepaeck schliesslich auf den Gepaeckbaendern angefahren kam. Dann gingen wir hinaus, umarmten uns, meine Schwester hatte sich extra ein paar Saetze in estnischer Sprache aufgeschrieben, die sie jetzt aufgeregt vortrug. Realisieren konnte ich diesen Moment nicht wirklich. Ich realisiere naemlich nie wirklich Abschiede und Begruessungen in dem Moment wenn sie stattfinden, es muss ersteinmal eine Weile sickern. Geweint hat glaube ich keiner, das haette ich in dem Moment vor lauter Verwirrung aber auch einfach uebersehen koennen ;)

Da fahren wir - hinaus aus dem Flughafen wird hier das erste gemeinsame Foto nach anderthalb Jahren geschossen.


Ja, und dann war ich einfach wieder da, vereint mit der Familie als ob ich nie weg gewesen waere. Es waren nicht mehr viele Tage uebrig um sich Paris anzuschauen, aber irgendwie realisierte ich auch sehr schnell, dass das in dem Moment gar nicht so wichtig fuer mich war. (Und da hatte ich extra noch auf einen Tag mehr gedrungen!) Nach Kuala Lumpur hatte ich eindeutig die Nase voll von Grossstaedten, Paris stellte sich als weniger ansehnlich heraus als wir angenommen hatten und ich war einfach mit der Gefuehlsbewaeltigung schon genug beschaeftigt. Trotzdem schauten wir uns in den naechsten Tagen etliche Sehenswuerdigkeiten von aussen an, unterhielten uns viel aber nicht unbedingt sehr tiefgruendig, liefen ziellos umher und fanden dabei auch Fleckchen von Paris, in denen Bettler mit ihren Kindern unter der Bruecke hausen. "Hier kommen die ganzen Touri-Touren bestimmt nicht hin" dachten wir uns. Die Stadt der Liebe? Also eigentlich ist die "Seine" ganz schoen dreckig und das "Eisen" oder "Stahl" des Eifelturms ist aus der Naehe betrachtet auch nicht sehr romantisch... Aber da gehen die Meinungen weit auseinander, ich stand ja noch nie so sehr auf wichtige Sehenswuerdigkeiten die ich mir UNBEDINGT anschauen muss. Ausserdem ist der Eintritt so teuer, dass wir nicht bereit waren in viele Sehenswuerdigkeiten ueberhaupt hinein zu gehen. (Wie auch alle Lebensunterhaltungskosten unglaublich hoch waren). Im "Notre Dame" waren wir, das war naemlich kostenlos wenn man sich an eine unglaublich lange Schlange stellte, das Warten ging dann doch schneller als gedacht. Innen gab es, neben perfekter gotischer Baukunst, Kerzen fuer je 2 Euro zum anzuenden, einen Verkaufstand mit Kassen fuer Buecher, Kerzen und was auch immer (mitten in einer Kirche!), eine Maschiene zum teuren Souvenirdruck und dazu natuerlich einige hundert Menschen, denn insgesamt passen in die "Notre Dame" 10.000 Personen hinein. Im Innenbereich wurde sogar Messe gehalten waehrend aussen die Touris drumherum liefen. Na gut, dann hatten wenigstens auch Nicht-christliche Menschen einmal die Moeglichkeit eine Messe zu sehen.

Meine Eltern und der Eifelturm
Erstes Treffen zwischen Jaak und meiner Familie.
Elektroautos haben Sie hier auch schon.
Wenigstens einmal kletterten wir hoch hinauf um die Stadt ueberblicken zu koennen - unglaublich wie teuer alles ist in Paris!
Das Babsi Schokolade mag hatte meine Familie auch nicht vergessen und ordentlich was mitgebracht ;) Und die frische rote Wurst erst, selbstgeschlachtet! Und das leckere Brot...

Jaak und ich liessen uns einfach fuehren, das war toll. Ich dachte nicht wirklch darueber nach wo wir hin muessen, wie ich am Besten an ein Ticket komme und wo ich es abstempeln muss. Einfach hinterher laufen, zu viel mehr waere ich wahrscheinlich auch nicht in der Lage gewesen in all meiner Gefuehlsverwirrung. ;)

Unser Hostel

Wir schliefen in einem Hostel, das hatten wir schon oefter getan, aber nun mit meiner eigenen Familie! Mensch fand ich das toll, dass meine Eltern anstatt in ein teures Hotel gehen zu wollen mit einem Hostel zufrieden waren, wo sie teilweise noch mit Fremden auf dem Zimmer waren! Das macht mich stolz.



Es passierte noch etwas wirklich unglaubliches. Als ich das erste Mal an die Rezeption im Hostel ging, da erkannte ich sofort die schwarz-gelockte junge Dame die mich ebenso erkennend ansah. Na das gibts doch nicht! Wir waren doch jetzt in Frankreich, Paris, in einem von was weiss ich wie vielen Hostels, nur zufaellig ausgewaehlt! Das letzte Mal hatten wir uns naemlich im Norden Australiens getroffen, in Cairns. Da war ich noch mit Sabs und Anne gereist, es war Weihnachten 2010, wir hatten gerade unser Auto verloren und suchten eine neue Mitfahrgelegenheit (ersteinmal das gemietete Auto das wir nicht abholen konnten weil Sabs ihre Kreditkarte mit Geld gestohlen wurde und wir unerwartet 2000 Dollar Pfand zahlen sollten, und dann die Mitfahrgelegenheit mit deren Auto wir am 2. Tag unseren schweren Unfall hatten wo Reifen mit Achse bei 100km/h meterweit weg flogen). So hatten wir eine ganze Weile zusammen im Hostel gewohnt und uns gut verstanden, sie hatte damals auf einen Mann im Rollstuhl aufgepasst um ihr Reisegeld zu verdienen, das fand ich irgendwie toll. Sie war Franzoesin und nun zurueck in Frankreich, arbeitete an der Rezeption in dem Hostel, in welchem wir nun fuer die wenigen Tage lebten. Ich freute mich wirklich sehr ueber diesen Zufall.
Aber erst spaeter erkannte ich den "wahren" Grund, warum wir uns hatten treffen muessen. Ich war damals einem Franzosen sehr zu getan gewesen, ein paar Wochen hatten wir zusammen verbracht und uns auch ein weiteres Mal an der Westkueste Australiens gesehen. Doch die Gefuehle hatten im Enddeffekt doch nicht gereicht unsere eigenen Ziele zurueck zu stellen und Reisen zusammen zu beginnen, es war einfach im Sande verlaufen. Trotzdem fragte ich nun nach ob sie irgendetwas von ihm wusste und schlagartig wurde ihr Gesicht, ihre Stimme anders. Bei den Worten "Hast du es noch nicht gehoert?" wusste ich schon laengst, dass etwas nicht stimmte und dieses aengstliche Gefuehl kroch durch meinen Koerper, wie es schon so oft bei solchen Nachrichten da gewesen war. "Er war in Malaysia, hat sich eine ganz seltene Art von Malaria zugezogen und ist daran gestorben. Seine Mutter musste dann extra hin fliegen und seinen toten Koerper abholen." Ich war vollkommen sprachlos, nicht ein Ton kam heraus, mein Gesicht sah wohl aus wie das einer Mumie, bleich und ohne jegliche Emotionen. So fuehlte ich mich zumindest. Oh Mann und ich hatte nichts geahnt. Noch immer waren wir im Facebook befreundet, ab und an durchstoeberte ich noch seine Seite nach Neuigkeiten um heraus zu finden was er denn so macht. All die Aussagen waren aber in franzoesisch gewesen, "Wir lieben und vermissen dich so sehr. Wo bist du hin?" das hatte ich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nie uebersetzen koennen. Was sich doch hinter so einem Wortbild verstecken kann, man liest die Worte, spricht sie aus, und trotzdem weiss man nicht was man da gerade gesagt hat....
Als ich wieder zu meiner Familie ging sassen sie noch genauso wie vorher da und spielten "Romee", aber irgendwie war fuer mich doch alles anders als vor 10 Minuten. Einen Moment lang waren all die grossen Gefuehle die durch die Heimreise entstanden nicht mehr wichtig, ein anderer Schmerz draengelte sich dazwischen. Ich erhielt ein paar Umarmungen und troestende Worte, weinte ein paar Traenen in der Kirche und zuendete im "Notre Dame" ein Lichtlein fuer ganze 2 Euro an. Doch viel Platz und Zeit war fuer mich nicht um diese neuen Ereignisse zu verarbeiten, denn die Abreise nach Deutschland rueckte naeher und die letzte Nacht uebertraf dann jegliche negativen Gefuehle.
Als ich mit unglaublichen Bauchschmerzen aufwachte weckte ich wieder Jaak. Aus dem freudigen Blick mich zu sehen wurde aber gleich ein verschlossenes Gesicht, als ich, einmal mehr, erzaehlte ich hatte wieder diese Bauchschmerzen und wuesse nicht, ob das alles richtig ist mit uns. Ich liess ihn also beinahe ein 2. Mal stehen, nicht in Neuseeland diesmal, sondern in Paris, eine Nacht vor der Heimkehr nach Deutschland. Er ging nach draussen um sich wieder zu fasssen. Ich bekam wieder die Oberpanik bei dem Gedanken ohne Jaak leben zu muessen und bettelte ihn nun an, mit mir zu kommen. Wieder gab es eine Umarmung, einen Kuss und die Vereinbarung sich nicht hier zu trennen. Eigentlich wollte ich ja keine Trennung - sondern hatte toedlichste Panik davor. Welch ein psychologisches Wirrwarr. Durch unsere Wachaktion und ein mehrmaliges Weckerklingeln des Handys das noch nach neuseelaendischer Zeit eingestellt war, konnte auch niemand Anderes wirklich schlafen und zerknirscht verliessen wir am naechsten Morgen gegen 6 oder so das Hostel. Fruehstueck bekamen wir auch nicht, da wir vor der vereinbarten Zeit da waren und es dem Mann zu viel Arbeit machte die Kueche aufzuschliessen, unser Zeug konnten wir immerhin heraus holen.

Nach einer schlaflosen Nacht


Dann fuhren wir mit der Strassenbahn zu dem Parkhaus in dem unser Auto stand, auf einmal sass Jaak in MEINEM Auto (nicht rechtlich gesehen natuerlich), mit MEINER Familie um zu MEINEM ehemaligen Wohnort zu fahren. Wow, welch ein kaum zu realisierender Wahnsinn!


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